Hedwig Richter ist Professorin für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Demokratie- und Diktaturforschung, Migration, Geschlechterforschung Kirchengeschichte sowie die Geschichte Europas und der USA im 19. und 20. Jahrhundert. Sie ist Preisträgerin des Anna-Krüger-Preises für Wissenschaftssprache im Jahr 2020. Gerade aktuell erschien ihr neues Buch “Demokratie. Eine deutsche Affäre”, das für den Bayerischen Buchpreis 2020 in der Kategorie Sachbuch nominiert ist. Unter anderem in diesem Zusammenhang beschäftigt sie sich auch im Speziellen mit der Geschichte des Deutschen Kaiserreichs, mit dem sich die 9. Klassen auch gerade thematisch auseinandersetzen.
Große Freude bereitete Frau Richter den beteiligten KollegInnen, als sie die Einladung annahm, um mit den SchülerInnen per Videokonferenz über ihre Erkenntnisse zur Gründungszeit des ersten Nationalstaates auf deutschem Boden zu sprechen. Dabei betonte sie, dass die Zeit zwischen 1871 und 1918 nicht nur als bleierne der deutschen Geschichte wahrgenommen werden dürfe. Mehr als genug Kritikwürdiges besprach sie mit den SchülerInnen dabei durchaus, z. B. den deutschen Kolonialismus, die Verfolgung von Minderheiten und die Politik Wilhelms II. Vor allem aber die Tatsache, dass sich eine Politisierung der Bevölkerung – auch dank des damals modernen Wahlrechts – vollzog, es zu vielfältigen Reformen kam und sich auch das Bild der Frau in dieser Zeit besonders wandelte, waren Teil ihres Vortrags. Sie zeigte hier also die Entwicklungen, auf denen moderne Demokratien noch heute fußen. Ausdruck des Wandlungsprozesses waren im Kaiserreich auch die Gründungen vielfältiger Interessensvertretungen, Parteien und Zeitungen. Besonders die häufig unterschätzte Stärke des Parlaments im ersten deutschen Nationalstaat wurde thematisiert. Bezug nahm Frau Richter dabei wiederkehrend auch auf die damaligen Entwicklungen in Hamburg. Durch den in historischer Betrachtung schlechten Umgang mit der Choleraepedemie von 1892 wurden auch in der Hansestadt vielfältige Reformvorhaben angestoßen. So wird als direkte Folge eine Verfassungsänderung angenommen, durch die größere Teile der Gesellschaft nun auch politisch mitbestimmen konnten. Ebenso die Veränderungen in puncto Hygiene als Reaktion müssen hier erwähnt werden (z. B. die Gründung des Instituts für Hygiene und Umwelt), die deutliche Auswirkungen auf die Modernisierung nahmen.
Die SchülerInnen nutzten die Möglichkeit, der Historikerin im Anschluss an ihren Vortrag spannende Fragen zu stellen, vor allem solche, die sich mit der Erinnerungskultur auseinandersetzten. Dabei betonte Richter, dass gerade die Verehrung Bismarcks, an vielen Stellen in Hamburg auch heute noch zu entdecken, nicht Ausdruck der Obrigkeit gewesen sei, sondern Ausdruck einer Verehrung des Bürgertums, da er wesentlich zur Entstehung der Nation beitrage habe. Wichtig sei an dieser Stelle die historische Auseinandersetzung mit diesen Sachverhalten.
Die Professorin gab den SchülerInnen somit einen äußerst spannenden Einblick in ihre aktuelle Forschung und damit in das Thema, mit dem sich die SchülerInnen gerade beschäftigen.
Bild: CC BY-SA 4.0 Studio Fabian Hammerl – Fabian Hammerl Photographie https://de.wikipedia.org/wiki/Hedwig_Richter#/media/Datei:Hedwig_Richter.jpg